Dienstag, 10. März 2020

Seite 12 - Die Tore der Tiefe























Man kann einem natürlichen Menschen schwerlich einen Begriff von der Seelen Idea geben. Denn er verstehet mit der Gelaßenheit, daß man als ein Vieh Centrum Natura gantz nicht dürfe anrühren, sondern gleich jenen ohne göttliche Würkung so dahin gehen, und das Gestirn nur drehen laßen, durch welche Wegeweiser manch Gemüth übel angeführet wird, wo Gottes Erbarmen das Hertz inwendig nicht selber regiret und durch Seinen Geist die Angst-Cammer aufschließet, da es so wenig das Eßen im Gebet als die natürliche Speise entbehren kann.
Es ist ein Zeichen des geistlichen Todes, wo der Arckäus [Archäus]* im Gebet Gottes Kräften nicht anzieht.
Wo das Gestirn auch mit Br. P. zuletzt noch hintreiben will, mag Gott wißen: Der Geist ist in ihm ja gantz trunken; was will der gute Mann von Eigenheits-Wirken doch sagen? 
Er dringe erst in die enge Pforte des Lebens ein, er wird wohl finden was beten auf sich habe, und einen gantzen Menschen erfordern, und wie man den äußeren Menschen muss am Zaum führen, auf daß er nicht ins Ausschweifen oder laufen komme, er kann in einem Tage mehr Kräfte verfladern, als die Seele in einem Jahre versammeln.

Die geistliche Geburt oder Arbeit des Gebets muß kniend geschehen, wegen der Thoren der Tiefe im Gemüth, weil der Sp. M.** mit einer Wolken im Gemüth den Eingang versperret: und hat der noch keinen Verstand in der Tiefe, der da sagt, daß man es gehende, stehende, sitzende, liegende, eben so wohl thun könne. p.
Seine Andacht kann man zwar wohl also haben; jedoch muß große Discretion im Gemüthe sein, weil die Principia Promiscus*** ihr Egest einwerfen, welche Gewürke im Gebet aufm Test des ewigen göttlichen Feuers müßen digeriret werden, da das Unfixe im Feuer wegraucht; ein jeder Geist aber hat seinen Himmel, und darauf ist auch sein Ernst; die im äußeren sinnlichen Himmel wandeln, rühren mit der Immagination {Rest des letzten Satzes, der auf der nächsten Seite beendet wird:} Centrum Natura ewig nicht an, und ist ihnen ein Tod, auf den Knien liegende einzudringen. 

*) Archäus = der Ätherleib des Menschen, Begriff aus der Lehre des Paracelsus
**) spiritus mundi = der Weltgeist, Begriff aus der Alchemie
***) Principia Promiscus = die gemischten Elemente
****) Egest = vermutlich veraltet für Ausscheidung, Auswurf; vgl. englisch "to egest" = ausscheiden


Dienstag, 3. März 2020

Seite 11 - Der Acker des Gemüts























{Rest des letzten Satzes von Seite 10: Dies ist das große Angst-Rad, welches sich aus der Finsterniß ausgebieret,}
und der Anzündung des ewigen Lebens mitten im Tode, und heißet nun der Geist der feurigen Begierde, welcher das göttliche Licht und darin die ewige Weißheit und Verstand, als Gott vor sich im Hertzen aufschließet p.
In diesem wird sich euer Geist faßen können sich Gott getrost anvertrauend p.

Ach! Wie wird sich euer Geist erquicken, wenn die göttliche Weißheit also aus eurer Seelen leuchtet und mit dem göttlichen Verstand die gantze Tiefe des Gemüths aufschließet.
Bis dahin müßet ihr nun in Knechts-Gestalt den Aker des Gemüths in großer Arbeit des Geistes umpflügen, auch im Haupt euch mit den thierischen auch höllischen Sinnen und Ascendenten, beides aus der Vernunft und Abgrunde, als ein elender Sauhirte schleppen. Luc: 17, 7. jene stets recolligiren*, und in einen Pferch des Willens mit großer Mühe versammeln, und dieser höllischen Wölfe euch entschlagen.
Nach welcher Arbeit der sich versammelte Willen-Geist erst schürtzen muß, und seinen Herrn über Tische dienen, das ist, mit dem Gebet speisen, da heißets: Danket auch der Herr demselben Knecht? 
Das ist: Die Seele hat nur gethan, was sie zu Ihm schuldig gewesen, und hat sich als ein mühsamer Arbeiter aus ihrem Werk gerettet, und ist hertzlich froh, daß sie so wohl reusiret**, und fertig werden können, sich im Willen also schürtzen zu können, und Gott mit dem Gebet eine angenehme Speise aufzutragen, in Demuth erwartende den Nach-Tisch, als das Amen im Gemüth empfangen zu mögen, woran ihr genüget, bis diese Knechts-Jahre erfüllet, und der hl. Geist im willen aufgehet, welcher das Siegel ist, womit die Seele befestiget, und zum Erben des ewigen Lebens constituiret wird, da es dann anders lautet, und die Seele ein höher und tiefer Werk bekommt, so mehr zu sagen als die Knechts-Arbeit, als deme Gott nichts mehr vertrauen könne, bis seine Treue offenbar worden. p. 
d. 19. Mrtz 1708
*) recolligieren = sich erholen
**) reüssieren = Erfolg haben